Erst im Mai haben wir dein trauriges zehnjähriges Tierheimjubiläum „gefeiert“, nun bist du endgültig heimgegangen. Mit gebrochenen Herzen mussten wir letzten Freitag von Deutschlands längstem Tierheimbewohner, aber viel mehr noch von einem treuen Freund, Schicksals- und Weggefährten, unserem Turco Abschied nehmen. Nach einer Krebserkrankung ging es dem 13-jährigen Kelpiemischling in den letzten Wochen immer schlechter, sodass er vergangenen Freitag euthanisiert werden musste, um ihm weiteres Leid zu ersparen. Seitdem ist nichts mehr, wie es war und wir sind in tiefer Trauer.
Ein Leben voller Prüfungen und Tapferkeit
Als wir diese Zeilen für deinen Kumpel Josef schrieben, der ebenfalls fast sein ganzes Leben im Tierheim verbrachte und schließlich vor zwei Jahren von uns ging, hofften wir so sehr, dass dir noch ein besseres Schicksal zuteilwürde und du nicht bis zu deinem letzten Atemzug im Heim verweilen würdest. Doch nun ist es genau so gekommen. Uns bleibt nichts als zu reflektieren, wie es für dich anders hätte laufen können und dich für immer in unserem Herzen zu tragen.
Turco hat in seinem Leben so viel erlebt und ausgehalten. Geboren wurde er 2012 in der Türkei, wo er einige Jahre später alleine auf einer Müllkippe gefunden und zur Vermittlung nach Deutschland gebracht wurde. Leider kam er mit dem Alltag hier so gar nicht zurecht. Wegen eines Bauchspeichelleidens musste er zudem erstmal in eine Tierklinik, bevor er dann im Juni 2015 im Münchner Tierheim landete. Trotz all der Unsicherheiten und Herausforderungen, die ihm das Leben auferlegt hatte, blieb Turco stets ein Kämpfer. Über 10 Jahre verbrachte der tapfere Kerl bei uns in Riem, wurde fester Bestandteil unserer kleinen Welt und geliebtes Mitglied der Tierheimfamilie.
Zuhause im Tierheim
Obwohl Turco nie das Zuhause gefunden hat, das er eigentlich verdiente, hatte er bei uns im Tierheim einen Platz, wo er sich daheim und geborgen fühlte. Das zeigte er nicht zuletzt dadurch, dass man ihn zu seinen Gassitouren und Ausflügen lange Zeit (bevor es gezielt trainiert wurde) eindringlich überreden musste und sein Schritt auf dem Rückweg zum Hundehaus 2, wo er wohnte, immer recht schnell wurde. Wo andere Tierheimhunde eher Unmut zeigen, weil sie nicht zurück in ihren Zwinger möchten, konnte es Turco gar nicht schnell genug gehen. Sein Wohlbehagen in den eigenen vier Wänden führte so weit, dass er diese am liebsten gar nie mit anderen Zwei- oder Vierbeinern teilen wollte. Vielleicht eine Folge seiner Vergangenheit auf der türkischen Müllhalde, zweifellos jedenfalls ein großes Vermittlungshemmnis.
Charakterkopf mit Charme
Ja, Turco war beileibe kein einfacher Hund. Mehrere Adoptionsversuche scheiterten, weil sich der kleine Kerl partout nicht in neue Lebensumstände eingewöhnen und unbekannte Situation meistern konnte. Im Fall der Fälle kompensierte er mit Überreaktion und Aggression. Jahrelang war der Bub in ein Trainingsprogramm integriert, machte zeitweise große Fortschritte. Und dennoch blieb Turco immer das, was man bei Menschen im Volksmund einen „Sonderling“ und in der Psychologie wohl „neurodivergent“ nennen würde. Umwelteindrücke überforderten ihn, sein Nervensystem schien viel zu schnell überreizt. Es ging so weit, dass er hungrig vor dem gefüllten Napf stand und nicht aß, wenn eine fremde Person nahe seiner Zwingertür stand.
Kleine Freuden, große Liebe
Einen hohen Stellenwert hatte für ihn seine heißgeliebte Kuscheltiersammlung, die er seinen PflegerInnen und GassigeherInnen täglich mit Stolz präsentierte. Und sein Lieblingsmensch? Das war unsere Claudia, eine treue ehrenamtliche Gassigeherin, die ihn schon seit vielen Jahren regelmäßig ausführte und zu spannenden (wohlbehüteten) Entdeckungstouren mitnahm, zusammen mit seiner Trainerin Rebecca, deren Privathunden und oft auch anderen Hundekumpels aus dem Tierheim. So haben alle Menschen, die mit Turco zu tun hatten, seine PflegerInnen, seine Gassigeherin, Trainerinnen und seine Tierärztin stets versucht, das Leben dieses missverstanden armen Knopfs im Tierheim zu bereichern.
Ein stiller Lehrer
Trotz seiner Eigenheiten war auch Turco seinerseits eine echte Bereicherung für unseren Tierheimalltag. Er brachte uns zum Lachen und belohnte ausdauernde Beziehungsarbeit mit treuen Augen und freudigem Schwanzwedeln. Auch auf TierheimbesucherInnen, Ehrenamtliche und MedienvertreterInnen hatte unser Turco eine besondere Wirkung. Während die anderen Hunde im „Rondell“ sich im Außengehege territorial verhielten, wenn sich jemand näherte und einen verbellten, setzte sich ausgerechnet Turco ruhig und entspannt ans Gitter, mit neckischem Blick über die Schulter, um sich kraulen zu lassen.
Turco war ein charmanter und sensibler Begleiter, dessen Vertrauen man sich erarbeiten musste. Er zeigte uns täglich, dass jede Seele, egal wie unsichtbar sie scheint, eine Geschichte hat, die gehört werden sollte. Sein Leben stand für all die Tiere, die ein Schattendasein führen und darauf warten, dass jemand ihren Wert erkennt und sie trotz ihrer Päckchen, mit denen sie reisen, annimmt.
Leb wohl, kleiner Kauz
Nun müssen wir leider ohne dein Lächeln und ohne deinen charmanten Sturkopf weitermachen, für all die anderen vergessenen Fellnasen, die unsere Hilfe brauchen. Wir gehen an deinem Zwinger vorbei, blicken traurig auf dein leeres Hundebett und deine nun verwaiste Kuscheltiersammlung. Du fehlst uns so sehr, du kleiner, süßer Eigenbrötler! Deinen Verlust zu überwinden wird nicht leicht werden, doch wir müssen. Und eines Tages werden wir uns wiedersehen. Bis dahin wirst du immer in unseren Herzen weiterleben, Turco, und deine Geschichte wird niemals vergessen sein.
Komm gut über die Regenbrücke und ruhe in Frieden.